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Ungeahnte Kommunikationsfallen

  • von Laura Dalhaus
  • 09 Sept., 2018

... in der Bauchspeicheldrüse

Ich dachte bisher, dass meine Patientenkommunikation nicht so schlecht sei, jedoch bin ich mal wieder an meine Grenzen gestoßen: Ein Patient stellte sich mit Oberbauchschmerzen vor.  Die Beschwerden und der Ultraschall sprachen für ein Gallenblasenproblem. Da es dem Patienten eigentlich ganz gut ging, entschied ich mich zunächst zur Blutentnahme mit der Bitte, sich am nächsten Tag noch einmal vorzustellen.  Am nächsten Tag war nach den Blutergebnissen klar, dass der Patient eine Bauchspeicheldrüsenentzündung mit Entzündung der Gallenwege hatte. Das erklärte ich dem Patienten in dieser Art und Weise. Nach dem Begriff "Bauchspeicheldrüse" schaltete er jedoch vollständig ab: "Oh Gott, mein Nachbar hatte auch Bauchspeicheldrüse, der war in 6 Monaten tot. Frau Doktor, seien Sie ehrlich, wie lange hab` ich noch?" Egal, wie und was ich intervenierte und obwohl ich den Begriff "Entzündung" immer und immer wieder benutzte und predigte, er habe keinen Krebs - ich hatte keine Chance: Noch im Gehen fragt er: "Frau Doktor, was sage ich jetzt meiner Frau? Bauchspeicheldrüse kann ich nicht sagen. Dann weiß sie direkt Bescheid." Ehrlicherweise blieb ich relativ sprachlos zurück. Offensichtlich gibt es im Volksmund  jetzt nicht mehr nur "ich hab` Rücken und Kreislauf", sondern auch "ich habe Bauchspeicheldrüse" und es scheint damit immer eine Krebserkrankung gemeint zu sein. Tja, gegen den Volksmund ist kein Kraut gewachsen.
von Laura Dalhaus 7. Dezember 2018
Ich behaupte, in der Weihnachtszeit wird der Unterschied zwischen einer Hausarztpraxis auf dem Land oder in der Stadt am deutlichsten: Die Grippewelle gibt es naturgemäß in diesen Zeiten überall in Deutschland. Den Vorweihnachtsstress ebenso. Der Unterschied: Unsere Patienten bringen in großer Zahl Selbstgebackenes in die Praxis - ich vermute weniger aus Sorge, das Praxis Team könnte zu wenig von Plätzchen, Schokolade und Co. zu sich nehmen, sondern mehr als Dankeschön für das Engagement in der Hausarztpraxis im abgelaufenen Jahr.
Wirklich berührt hat mich eine Patientin, die aktuell aufgrund einer Fraktur einen Unterarmgips trägt: Sie habe ja sonst immer Plätzchen gebacken, dies wäre wegen des Gipses nicht machbar gewesen und das täte ihr furchtbar Leid. Sie habe nur mit einem Arm "Neujährchen" drehen können und übergab uns eine große Dose. Jeder, der schon einmal versucht hat, diese Köstlichkeit selbst zu backen, weiß wie aufwendig das ist. 
Auch in anderen Jahreszeiten schlägt mir in der Praxis viel Dankbarkeit entgegen; in der Vorweihnachtszeit nehmen sich Patienten aber besonders Zeit, ihr "Danke" auszudrücken. Das freut mich und ist ein schöner Brauch in der zunehmend kommerzialisierten Weihnachtszeit. 
von Laura Dalhaus 14. Oktober 2018
Fester Bestandteil der hausärztlichen Medizin ist die Reiseimpfberatung. Und in einer globalisierten Welt, in der Urlaube wie selbstverständlich in Vietnam, Kambodscha und Thailand verbracht werden, nimmt dieser Stellenwert zu.
Neulich kam eine Patientin zur Reiseimpfberatung, die eine Reise nach Indien geplant hatte. Sie hatte schon eine Informationsveranstaltung zu der geplanten Reise besucht. Der Veranstalter habe gesagt, eigentlich sei keine besondere reisemedizinische Vorbereitung notwendig. Naja, Indien ist so ziemlich der reisemedizinische Super-GAU...vor allem, wenn man eine Rundreise durch das ganz Land plant.  Also klärte ich auf: Basisimpfungen Tetanus, Diphtherie, Polio, Pertussis, dann Hepatitis A und B, Tollwut, Japanische Enzephalitis....das Thema Malaria und die Gelbfieberimpfung, die nur über das Gesundheitsamt zu bekommen sei. Die Patientin sank in ihrem Stuhl zusammen, in den Augen blankes Entsetzen. Damit hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. Immer noch deutlich irritiert fragte sie, wie man sich denn mit diesen ganzen Krankheiten anstecken könne. Das sei je nach Krankheit unterschiedlich, erklärte ich und griff als Beispiel die Hepatitis A heraus. Hier könne man sich vor allem über Meeresfrüchte und ungewaschenen Salat infizieren. Die eh schon einigermaßen überforderte Patientin fragte erstaunt zurück, ob es denn wirklich möglich sei, sich über das Essen anzustecken; schließlich könne man das ja gar nicht wissen.  Ich bestätigte und sagte, der sicherste Weg sei, diese Lebensmittel zu meiden. Auch bestätigte ich, dass Indien ein besonderes reisemedizinisches Risiko mit sich brächte. Ich versuchte den Spagat, der Patientin die Angst zu nehmen und ihr gleichzeitig zu verdeutlichen, dass sie das Thema  Reiseimpfungen mehr als unterschätzt  hatte. Gegen Ende des Termins kam sie zum dem Schluss, die Reise nicht anzutreten; das Risiko sei ihr zu hoch und so viele Impfungen wolle sie auch nicht. Vielleicht gehts dann doch wieder nach Italien ;-)
von Laura Dalhaus 27. September 2018
Ein 94-jähriger Landwirt kommt in unregelmäßigen Zeitabständen mit diversen gesundheitlichen Problemen, die ein langes Leben mit sich bringt, mit seinem Sohn in unsere Praxis. Der Patient ist nicht nur extrem schwerhörig, sondern versteht und spricht ausschließlich astreines westfälisches Plattdeutsch. Meiner einer kann das hiesige Platt zwar verstehen, jedoch nicht sprechen, sodass der Sohn als Übersetzer fungiert.
Der Patient stellt sich mit einem klassischen Erysipel, das heißt einer Hautentzündung oder im Volksmund auch Schweinerotlauf genannt, vor. Ich lege einen Feuchtverband an, verschreibe ein Antibiotikum und erkläre, dass die Verbände regelmäßig erneuert werden müssen und das Bein gekühlt werden muss. Der Sohn brüllt den Vater an: "Vadder, det muss jetzt all`n Dag ut tuuschen!"  Der Vater scheint offensichtlich nicht überzeugt und ich verstehe das Wort "Sprütt"; der Sohn klärt mich auf - er fragt nach einer Spritze. Ich erkläre, dass man in diesem Fall keine Spritze geben könne und dass die genannte Behandlung unbedingt durchzuführen sei. Der Sohn schreit wieder: "Da kön man keen beten spreiten."  Der Vater ist immer noch nicht zufrieden: Auch die Feuchtverbände entsprechen nicht seiner Vorstellung. Er habe immer gute Erfahrungen mit Penaten Creme gemacht und die müsse da doch wohl drauf. Ich verneine entschieden und erkläre noch einmal den Befund und die notwendige Therapie. Der Sohn und ich sind zufrieden; wir vereinbaren eine erneute Vorstellung in 3 Tagen. 
Nach 3 Tagen erscheint der alte Herr mit seinem Sohn wieder in der Praxis - der Befund nur etwas verbessert, jedoch versteckt unter einer dicken Schicht fettiger Creme.  Der Sohn schaut etwas schuldbewusst: Die Penaten Creme sei ihm nicht auszureden gewesen, wenn es schon keine Spritze gegeben hätte.  Den Zusammenhang hatte ich beim letzten Termin allerdings auch noch nicht hergestellt... Ich frage schreiend nach, ob denn die Antibiotikaeinnahme erfolgt sei.  Vater und Sohn bejahen nicht ohne Stolz. Ok, dann halt ohne Feuchtverband, muss die Antibiose reichen und vielleicht kühlt die Penaten Creme ja auch etwas.....man muss auch mal mit einem Teilerfolg zufrieden sein und wissen, wo die Grenzen der eigenen Überzeugungskraft liegen.  Und immerhin hat die Penaten 2 Weltkriege geschafft und mein Patient einen davon. 
von Laura Dalhaus 14. September 2018
Einen geplanten Hausbesuchsnachmittag habe ich einmal pro Woche - d.h. routinemäßige nicht notfallmäßige Hausbesuche bei Patienten, die aus unterschiedlichsten Gründen die Praxis nicht mehr selbst aufsuchen können. Dies betrifft insbesondere Patienten auf den umliegenden Höfen aufgrund eines zu langen Anfahrtsweges. 
Zum Glück finden sich in unserer EDV schon so sachdienliche Hinweise wie  Klingel defekt, bitte durch den Garten gehen und die Terassentür nehmen"  oder  "direkt durch die Tenne ins Haus gehen und einmal laut rufen".
Für alle Städter: Die Tenne ist ein großer Raum auf einem Bauernhof zwischen Hof und Wohnhaus, z.B. zum Be- und Entladen.
Gott sei Dank ist unser MFA Team immer bestens informiert und macht mich mit den individuellen Hausbesuchsgepflogenheiten vertraut. Hochmotiviert starte ich die Tour. Damit ich nicht dreimal im Kreis fahre, habe ich mir eine Reihenfolge empfehlen lassen: Start auf dem am äußersten Rand gelegenen Bauernhof und zum Schluss das Altenheim gegenüber unserer Praxis. Ach ja, das war der Hof mit dem "durch die Tenne gehen".....
So wird's gemacht: "HAAALLLOOHO", rufe ich laut durch die Tenne, "DIE HAUSÄRZTIN IST DA!" Und in der Tat, es funktioniert: "ELSBETH, DIE FRAU DOKTA IS DA; FRAU DOKTA, KOMMSE GERADEAUS DURCH!" Hinter der Tenne fühle ich mich wie als Schauspieler in einem alten Film: Schwere Holzbalken an der Decke, Sammeltassen und Bilder vergangener Päpste an der Wand. In der Küche werde ich herzlich von Elsbeth und ihrem Mann empfangen. Über der Eckbank hängt so ein textiles Bild - ähnlich einer Stickerei; dunkel erinnere ich mich, dass meine Oma sowas auch mal im Flur hängen hatte. Hier ist die Zeit stehen geblieben. "Frau Dokta, setzen Se sich, der Kaffee ist gerade fertig. Milch und Zucker? Sie könns doch vertragen." Meiner erster Impuls ist, den Kaffee abzulehnen, angesichts der vielen Hausbesuche, die noch vor mir liegen. Jedoch entscheide ich, soviel Zeit muss sein, und nehme dankend an. Das Kompliment überhöre ich diskret - hier geht man von einem westfälischen Maßstab aus....
Nach dem Begrüßungsgetränk und dem klassischen Gesprächseinstieg ("Sie sind aber ne junge Frau Dokta!") versuche ich mir einen Überblick über den Grund meines Besuchs zu verschaffen. Blutdruck und Puls in Ordnung, keine Beinödeme, Lunge frei, Medikamentenplan griffbereit. Mein Kollege empfahl mir noch, einen Blick in den Kühlschrank zu werfen - der würde manchmal eine größere Aussagekraft besitzen als so mancher Demenztest. Da mir kein schlauer Vorwand einfällt, frage ich konkret nach. "Hamse Hunger?" lautet die Gegenfrage von Elsbeth, nachdem ihr Mann Zustimmung signalisiert hatte. Ich stelle fest: Der Kühlschrankinhalt macht einen deutlich besseren Eindruck als in meiner Küche.....vielleicht ist die Aussagekraft bezüglich einer Demenzprognose doch nicht so hoch..... hoffe ich......
Auf mein Nachfragen, ob ich noch etwas verbessern könnte, greift sich Elsbeth ins Kreuz. "Der Rücken, wissen Se ja. Aber ich will nicht jammern, solang ich noch laufen kann...." Ich verweise auf die Bedarfsmedikation auf dem Medikamentenplan, werde jedoch korrigiert; soooooo schlimm sei es auch nicht. Westfälische Sturheit. Als ich mich verabschiede, drückt mir Elsbeth ein Glas Marmelade in die Hand - Erdbeermarmelade. "Ist selbstgemacht und Frau Dokta - ich hab nich so viel Zucker reingetan". Sie strahlt mich an, ich lache zurück, bedanke mich und fahre vom Hof.
von Laura Dalhaus 3. September 2018
In den vergangenen 15 Monaten habe ich in einem Notfallzentrum in einem privaten Maximalversorger gelebt. Für Nichtmediziner: In einem sehr großen Klinikum, dass sämtliche medizinische Abteilungen umfasst. Ich schreibe bewusst "gelebt", denn in der Zeit habe ich nahezu ausschließlich in der Nachtschicht gearbeitet. Als Fachärztin für Allgemeinchirurgie  und Notfallmedizin mit internistisch-neurologischem Knowhow war ich Mädchen für alles und entsetzt, wie die größte deutsche private Klinikkette, dessen Mutterkonzern, mit zwei Sparten im Dax notiert ist, den Patienten zum Wirtschaftsgut und Kostenfaktor degradiert. Die Arbeitsbelastung durch die viele Nacht- und Wochenendarbeit hat Spuren hinterlassen. Eigentlich war ich gerne Arzt - aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Bevor ich mich aus der curativen Medizin endgültig verabschieden wollte, gab ich mir und meinem "Arztsein" einen letzten Versuch: Durch meine breite Ausbildung fühlte ich mich der Allgemeinmedizin gewachsen und die Aussicht, mein eigener Chef zu werden lockte mich - empfand ich doch den zunehmend größer werdenden Einfluss der "BWLer" auf meinen Berufsstand als anmaßend und wenig humanistisch.
Sofort fühlte ich mich wohl ich der Praxis. Mein Kollege verkörperte genau die Medizin, für die ich mich durch Anatomie, Biochemie und Augenheilkunde gekämpft hatte. Ich war sofort begeistert von dem überraschend breiten Spektrum: Kein Wunder: Facharzttermin? In 8 Monaten..... Daher stellen sich alle Patienten mit sämtlichen Beschwerden immer zuerst in unserer Praxis vor. Das macht das Spektrum unglaublich vielfältig. Als Chirurgin führe ich Wundversorgungen und kleinere Eingriffe in unserer Praxis durch. Und ich freue mich immer, wenn mein chirurgisches Können gefragt ist! So stellte sich (einer der vielen) Landwirte in unserer Praxis vor, der sich beim Kochen (!!) in die Hand geschnitten hatte. Nach der chirurgischen Wundversorgung mit 5 Hautnähten bestellte ich den Patienten 2 Tage später zur Wundkontrolle ein. Die Wunde war nicht mehr zu sehen - die Hand war schwarz vor Dreck.....Nee, dat müsse so gehen; schließlich müsse er sich ja um die Schweine kümmern..... In Gedanken sah ich schon die übelste MRSA Infektion vor mir..... Memo an mich: Unbedingt SEHR genaue postoperative Anweisungen geben: Stall- und Gartenarbeit explizit verbieten!
Interessanterweise war es der Wunde egal; sie ist vollständig abgeheilt.
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